Bei Völkerverständigung denkt
mancheiner vielleicht zuerst an Staatsmänner wie Adenauer
und de Gaulle. Und auch die Globalisierung ist für viele
ein Prozess, der erst durch die Gnade von Politikern entstanden
ist. Andere wiederum sind zwar für Völkerverständigung
auf politischer Ebene, doch auf wirtschaftlicher Ebene lehnen
sie eine weltweite Zusammenarbeit ab, da sie an einen grundsätzlichen
Interessengegensatz zwischen Unternehmern und Angestellten
glauben, der dazu führe, dass Unternehmer sich auf der
weiten Welt stets die billigsten Arbeitskräfte zum Ausbeuten
aussuchten.
Doch
sind es auch nicht die Unternehmer, welche die wesentliche
Globalisierungs- und Verständigungsarbeit leisten. Es
sind vielmehr jene Mittler zwischen den Sprachen und Kulturen,
die dafür sorgen, dass die weltweite Arbeitsteilung funktioniert,
die sicherstellen, dass ein koreanisches Handy in Deutschland
ebenso gut bedient werden kann wie in Usbekistan oder dass
ein finnischer Tango-Lehrer sich mit seinem Geschäftspartner
aus Argentinien versteht. Es geht um Übersetzer, Dolmetscher
und Sprachlehrer.
Kein
Wunder, dass niemand von der Globalisierung mehr profitiert
als die Personen und Unternehmen, die mit Sprachen zu tun
haben. Doch dieser Boom ist gar nicht so augenfällig,
denn es gibt für ihn kaum hervorstechende Symbole, etwa
in Form von Großkonzernen, die zum Highflyer an der
Börse wurden. Der Markt für Sprachdienstleistungen
ist deshalb so zersplittert, weil es fast kein Einstiegskapital
erfordert, um darin aktiv zu sein. Das wichtigste Kapital,
das die Sprachunternehmer mitbringen, haben sie im Kopf: Sie
beherrschen ihre Muttersprache und mindestens eine Fremdsprache.
Auf diesem Milliardenmarkt tummeln sich also Heerscharen von
basiskapitalistischen Einzelkämpfern. Wie kaum ein anderer
Kleinunternehmer hat der Übersetzer den Vorteil, dass
er sein Produkt heutzutage in rein digitaler Form liefern
kann. Er braucht neben seinem Knowhow nur einen PC und eine
Mail-Möglichkeit. Mittlerweile wird seine Arbeit auch
durch zahlreiche Software-Unternehmen wie Trados oder Passolo
enorm erleichtert.
Natürlich
sind Übersetzungsdienstleister, die als Ein-Mann-Unternehmen
fungieren und sich meistens nur auf eine oder zwei Fremdsprachen
spezialisiert haben, für größere Kunden nicht
ganz praktisch. Erstens ist es schwer für sie, aus den
Millionen von Anbietern zuverlässige Geschäftspartner
herauszufinden, und zweitens wollen sie ein Dokument meistens
in mehr als nur eine Sprache übersetzen. Hier kommen
Übersetzungsfirmen ins Spiel, die mit fest angestellten
oder Freiberuflern zusammenarbeiten und die auch Arbeiten
wie DTP, Konvertierung, Lektorat oder Website-Testing sowie
das gesamte Projektmanagement übernehmen. Ein Kunde will
beispielsweise seine Online-Dokumentation in zehn Sprachen
übersetzen. Statt zehn Einzelübersetzer einzusetzen,
vergibt er den Auftrag an eine Übersetzungsfirma, die
dem Kunden die gesamte Arbeit abnimmt. Entsprechend ist der
Wortpreis bei Übersetzungsfirmen zwei bis drei mal so
hoch wie bei einem Einzelübersetzer, dafür gewinnt
der Kunde aber an Sicherheit und Zuverlässigkeit und
vor allem spart er jede Menge Zeit. Gerade bei exotischen
Sprachen ist es zudem für den Markterfolg eines Produkts
entscheidend, dass nicht nur eine 1-zu-1-Übersetzung
angefertigt wird, sondern dass auch die kulturellen Besonderheiten
des Ziellandes berücksichtigt werden, damit das betreffende
Produkt des Unternehmens auch akzeptiert wird. Eine solche
sprachlich-kulturelle Übersetzungsleistung nennt sich
„Lokalisierung“. Viele Unternehmen mussten bereits
schmerzhaft erfahren, was eine mangelhafte Lokalisierung bedeutet.
So musste Mitsubishi die Marke Pajero in Spanien zurückziehen,
da man nicht bedacht hatte, dass Pajero im heutigen Spanischen
nicht nur wie im Wörterbuch nachgeschlagen „Hirte“,
sondern auch so viel wie „Wichser“ bedeutet.
Sprachenstadt
Bonn
In
Deutschland hat sich vor allem die Region um Bonn als Hochburg
von professionellen Übersetzungsunternehmen herauskristallisiert.
Viele sprechen schon von der „Sprachenstadt Bonn“,
und das liegt weniger daran, dass auch die Deutsche Welle
hier ihren Sitz hat, sondern vielmehr an den Dutzenden von
mittelständischen Übersetzungsfirmen und Sprachschulen
in der Rheinmetropole, die aufgrund ihres milden Klimas manchmal
auch scherzhaft die „nördlichste Stadt Italiens“
genannt wird. Fragt man Branchen-Insider nach dem Grund dafür,
dass Bonn zur Sprachenstadt avanciert ist, fällt immer
wieder der Name Gerhard Wagenpfeil. Der Mann gilt als Pionier
der Software-Lokalisierung und beschäftigte in den neunziger
Jahren über hundert Mitabeiter in seiner Firma „Translingua“.
Nach der Übernahme der Firma durch den mittlerweile bankrotten
belgischen Spracherkennungssoftware-Hersteller Lernout &
Hauspie verließen zahlreiche fähige Mitarbeiter
die Firma und gründeten eigene Unternehmen, darunter
auch Wagenpfeil selbst mit der Firma Delta.
Andere Spin-Offs wie Tracom, TopsNet, Transdoku, Docconsult
und Locasoft agieren ebenfalls erfolgreich am Markt. Und mittlerweile
zieht Bonn auch weitere Übersetzungsdienstleister aus
aller Welt an, so auch die vor allem auf Webseiten spezialisierte
US-Firma „Global
Translations“.
Daneben
ist Bonn aufgrund seines mediterranen Charmes und seines für
Deutschland die Ausnahme bleibenden wirtschaftlichen Booms
auch bei ausländischen Sprachschülern sehr beliebt.
An Sprachschulen wie dem Steinke-Institut
können Schüler aus aller Welt einen Ferienkurs belegen
oder sich gezielt auf die Uni-Zulassungsprüfung in Deutsch
vorbereiten. Bonn trägt also sehr stark zu dem (noch)
guten Image Deutschlands in der Welt bei, was im Hinblick
auf Standortvorteile von großer Bedeutung ist. Denn
auf der anderen Seite spricht es sich auch immer mehr in Russland,
China oder Indien herum, dass Deutschland das Land mit dem
geringsten Wachstum und mit der größten Arbeitslosenquote
aller alten EU-Länder ist. Es sind die Dienstleister
der Sprache, die wohl entscheidend dazu beitragen, dass dieses
Land die Zeit der Stagnation und des Reformstaus zu überbrücken
vermag.
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