Was
Guido Westerwelle in seiner Auftaktrede zum Bundesparteitag
der FDP am 5. Mai 2005 verlauten ließ, war über
weite Strecken dazu angetan, das Herz eines Libertären
zu erwärmen. Kostprobe: „Zu lange wurde in Deutschland
der Staat wichtiger genommen als das Private. Zu lange wurde
in Deutschland das Verteilen wichtiger genommen als das
Erwirtschaften. Zu lange kam in Deutschland die Gleichheit
vor der Freiheit.“
Das
ist doch schon so erzliberal, dass es kracht. Es scheint
tatsächlich so, als hätten weite Teile der FDP
die Zeichen der Zeit erkannt, als hätten sie zumindest
aus parteipolitischem Kalkül eine Marktlücke entdeckt,
die sich vor allem dadurch aufgetan hat, dass die Union
nur windelweich auf Münteferings Generalangriff auf
den Kapitalismus reagiert hat. Spätestens seit Friedrich
Merz’ Abgang haben CDU und CSU den Blüm’schen
Herz-Jesu-Sozialimus wiederentdeckt – eine Steilvorlage
für Westerwelle: „Viel zu lange wurde Nächstenliebe
zu staatlicher Dienstleistung degradiert. Viel zu lange
hat die Neidgesellschaft über die Anerkennungskultur
triumphiert. Viel zu oft wurde Freiheit als Freiheit von
Verantwortung missverstanden. [...] Wer bei einer Staatsquote
von etwa 50% in Deutschland den Kapitalismus sieht, der
sieht Gespenster.“
Und
was den Abbau von Bürgerrechten angeht, arbeiten Rot,
Grün und Schwarz immer mehr Hand in Hand. Schön,
dass die FDP auch diese Lücke schließen will. Westerwelle:
„Misstrauen Sie einer Regierung, die Ihnen misstraut.
Immer mehr Misstrauen, immer mehr Kontrolle, immer mehr Regeln,
immer mehr Gebote, immer mehr Verbote, immer mehr Steuern.
Das ist die deutsche Krankheit. [...] Wir glauben nicht, dass
Deutschland mit immer mehr staatlicher Bevormundung wieder
auf die Beine kommt, Deutschland braucht die Kraft der Freiheit.“
Ein
Highlight der Westerwelle-Rede war auch das Anprangern der
Gewerkschaften sowie der Julius Streicher zur Ehre gereichenden
Karikaturen im Journal der IG-Metall,
in der amerikanische Investoren als rülpsende Stechmücken
gezeichnet worden waren. Westerwelle über die DGB-Bonzen:
„Die Fremdbestimmung der Arbeitnehmer durch Gewerkschaftsfunktionäre
hat zu mehr Arbeitslosigkeit geführt. Gewerkschaftliche
Tarifpolitik trifft vor allem diejenigen, die es auf dem Arbeitsmarkt
am schwersten haben: die geringer Qualifizierten.“
Ist
Westerwelle nun wirklich so liberal wie er tut und beweist
er Rückgrat angesichts von Gegenwind aus den eigenen
Reihen, von Leuten, die wie etwa Burkhard Hirsch oder auch
Wolfgang Gerhard gegenüber den Gewerkschaften auf Apeasement
aus sind? Einige Bonner Libertäre machten am Samstag,
den 14. Mai, die Gegenprobe, als Westerwelle zusammen mit
Joachim Stamp und anderen FDP-Politikern bei einer Wahlkampfveranstaltung
im Café Spitz auftrat. Und tatsächlich: „Ich
habe bei meiner Kritik an den Gewerkschaften nichts zurückzunehmen.“
Und als eine Libertäre Westerwelle dann um ein Autogramm
auf dem Cover des aktuellen ef-magazins
bat, ließ der sich nicht lumpen und nahm dann sogar
bereitwillig ein weiteres ef-Exemplar als Geschenk an.
Ist
die FDP deswegen für einen authentischen Liberalen wählbar?
Man könnte sich ja auf folgenden Standpunkt stellen:
Ich will mich von niemandem regieren lassen, aber wenn ich
schon mal in der Zwickmühle stecke, die Wahl zwischen
50% Sozialismus und vielleicht 35% Sozialismus zu haben, dann
wähle ich das kleinere Übel. Ein Rückzug in
den libertären Schmollwinkel und ins Private hilft mir
spätestens dann nicht mehr, wenn der Staat immer mehr
gewaltsam in meine Privatsphäre eindringt. Oder bildlich-kulinarisch
gesprochen: Wenn ich eigentlich auf Gyros stehe, habe aber
zum Überleben nur die Wahl zwischen Sauerbraten und Cheeseburger,
dann wähle ich doch lieber den Cheeseburger, statt aus
Gram vor dem verlorenen Gyros zu verhungern. Ich weiche doch
keinen Deut von meiner libertären Identität ab,
wenn ich bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag, den 22.05.2005,
mit meinen sehr bescheidenen Mitteln als Wählerin und
Gefangene des Systems die nicht ganz so bösen blaugelben
Wärter wähle.
Nicht
zuletzt auch deswegen, weil es momentan kaum einen Acker gibt,
auf dem die libertäre Saat eher aufgeht als das Feld
des organisierten Liberalismus. Davon zeugen u.a. über
hundert Mitglieder der Libertären
Plattform der FDP und der hohe Anteil der FDP-Mitglieder
(25%) bei den Abonnenten des ef-magazins. Und wie Jim Perón,
der Leiter des größten neuseeländischen libertären
Thinktanks, richtigerweise festgestellt hat: Dass es dereinst
eine libertäre politische Mehrheit geben werde, könne
man sich abschminken. Aber man könne dazu beitragen,
dass die Mächtigen ein wenig mehr für die Freiheit
tun.
Meines
Erachtens gehört zur Überlebenstaktik eines Realo-Libertären
auch die Wahl der FDP.
Weblinks:
Homepage
von Guido Westerwelle
Homepage
von Naomi Braun-Ferenczi
Libertäre
Plattform der FDP
Institute
for Liberal Values
Karikatur anonym zugeschickt. Libertaria bittet um Nachricht
des Copyright-Inhabers.
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